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Jan Lisiecki, © Christoph Koestlin

«Nur in völliger Stille kann ich wirklich auftanken»

Gerade hat Jan Lisiecki bei den Osterfestspielen der Berliner Philharmoniker im Festspielhaus Baden-Baden in zwei Konzerten geglänzt. Längst ist aus dem 29-jährigen hochbegabten Kanadier ein reifer Pianist geworden, der bei seinen tiefschürfenden Interpretationen dennoch viel jugendliche Energie verströmt. Am 28. Juli 2024 spielt Lisiecki in Klosters mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen Edvard Griegs Klavierkonzert in a-Moll. Georg Rudiger hat ihm einige Fragen gestellt. 

Sie haben gerade bei den Osterfestspielen Baden-Baden mit Beethovens 3. Klavierkonzert Ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern gefeiert. Was war das Besondere daran?

Es gibt bestimmte Momente in einer Karriere, die als persönliche Meilensteine bemerkenswert sind – die Berliner Philharmoniker gehören sicherlich dazu. Ich war begeistert, dass das musikalische Niveau so hoch war, wie man es von einem solchen Ensemble erwarten würde, und noch wichtiger, dass die Musiker ermutigend, freundlich und leidenschaftlich waren. An dieses Konzert wird man sich noch lange erinnern!

Sie sind schon oft mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen aufgetreten, mit der Sie diesen Sommer in Klosters konzertieren werden. Was gefällt Ihnen an diesem Orchester?

Ich mag Ensembles, in denen jeder Musiker in den Prozess des Musizierens eingebunden ist, in denen es nicht nur darum geht, die Noten gut zu spielen, sondern wo jede und jeder Einzelne neugierig ist und sich für das Endergebnis ins Zeug legt. Die Kammerphilharmonie ist genau das. Ich hatte schon viele wunderbare Projekte mit diesem Ensemble. Ich freue mich darauf, mit ihnen ein weiteres Konzert zu erarbeiten.

Sie spielen in Klosters das Klavierkonzert in a-Moll von Grieg. Wo liegen für Sie als Interpret die Schwierigkeiten?

Einerseits ist es ein bekanntes und einfaches Konzert, aber man muss die technischen Passagen mit grosser Sorgfalt vorbereiten, wenn es gut klingen soll. Das beginnt schon gleich beim ersten Einsatz, wo die Oktaven und Akkorde eine musikalische Linie bilden und nicht durch die reine Schwierigkeit, die richtigen Töne zu treffen, gestört werden dürfen. Dasselbe gilt für den Beginn des zweiten Satzes, bei dem man besonders auf den Rhythmus der ersten Solopassage achten muss. Hinzu kommt natürlich das kammermusikalische Zusammenspiel mit dem Orchester, das sensibel und aufmerksam sein sollte.

Das Klavierkonzert von Schumann diente Grieg nicht nur wegen der gleichen Tonart als Vorbild. Welche Verbindungen sehen Sie zu Schumann?

In der Tat werden die beiden Konzerte oft miteinander in Verbindung gebracht, aber ich bin nicht ganz davon überzeugt, dass man das tun sollte. Natürlich haben sie eine gemeinsame Tonart und bestimmte grundlegende strukturelle Elemente, aber das eine ist unbestreitbar Schumann und das andere Grieg. Beide Komponisten haben eine einzigartige Sprache. Es ist wirklich schade, dass beide jeweils nur ein Klavierkonzert geschrieben haben!

Der letzte Satz des Grieg-Konzertes ist von dem norwegischen Volkstanz Halling geprägt. Interessieren Sie sich für Volksmusik?

Auf jeden Fall! Ich liebe es, Musik zu hören und zu erleben, die das Gefüge einer Gesellschaft formt – oder leider in vielen Fällen formte: Sie ist wirklich ein intimes Fenster zu einer Kultur. Natürlich hat auch Chopin – ein Komponist, dessen Musik mir sehr am Herzen liegt – in seinen Kompositionen ausgiebig Volksthemen und -tänze verwendet. Meiner Interpretation die richtige Gesamtenergie zu geben, ist dann meine Aufgabe. Es geht nicht so sehr darum, die genaue Art und Weise, wie zu dieser Musik getanzt wird, zu respektieren, sondern die Emotionen, die der Tanz hervorruft, durch die Musik zu vermitteln.

«Begegnungen. People and Places» ist das Motto von Klosters Music. Welche Menschen waren wichtig für Ihre musikalische Karriere?

Die ersten Menschen, die mir in den Sinn kommen, sind meine Eltern. Sie waren von Anfang an meiner Seite und haben mich auf die denkbar beste Weise unterstützt und gefördert; ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich ohne ihre Fürsorge heute nicht auftreten würde. Darüber hinaus wäre die Liste zu lang, denn jeder Mensch, den ich getroffen habe, hatte einen Einfluss auf meine Karriere. Ich könnte Begegnungen mit angesehenen Musikern und Dirigenten nennen, mit Menschen, die von klein auf an mich geglaubt und mir Auftrittsmöglichkeiten gegeben haben, oder auch mit solchen, die mich zweifeln liessen und mich zu einem stärkeren Menschen machten. Auch die Orte waren für mich sehr wichtig. Ich bin in Calgary in Kanada aufgewachsen und lebe immer noch dort, direkt vor der Haustür ist Wildnis und phänomenale Natur: ein Raum, in dem Inspiration Wurzeln schlagen und wachsen kann. Andererseits war ich auch von klein auf aufgrund meiner polnischen Herkunft regelmässig mit Europa konfrontiert und die europäische Kultur hat mich in der Kunst, der Architektur und ganz allgemein im Leben inspiriert.

Gibt es einen Ort, an den Sie sich gerne zurückziehen, weil Sie dort gut regenerieren können? 

Der einzige Ort, an dem ich mich wirklich zuhause fühle, ist Calgary. Besonders gerne bin ich in der Natur unterwegs – im Winter beim Skifahren, im Sommer beim Camping, Kajakfahren, Radfahren oder Wandern. Nur in völliger Stille kann ich wirklich auftanken.

 


HEIMATSTOLZ
28. Juli, 17.00 Uhr, Konzertsaal, Arena Klosters

Maxim Emelyanychev (Leitung), Jan Lisiecki (Klavier), Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen