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© Michail Dementiev

Serie: Orte in der Musik (2)

Musikwissenschaftler Georg Rudiger stellt einige Orte vor, die für bestimmte, in Klosters gespielte Werke wichtig sind: diesmal die «Karelia»-Suite op. 11 von Jean Sibelius. 

Karelien ist eine historische Landschaft in Nordosteuropa zwischen der Ostsee und dem weissen Meer mit rund 25’000 Flüssen und 60’000 Seen, die schon immer zwischen Schweden, Russland und Finnland aufgeteilt war. Heute besteht der finnische Teil Kareliens aus rund 85 Prozent des gesamten Gebietes. Historisch ist die weite Landschaft von besonderer Bedeutung für Finnland, weil im 19. Jahrhundert die uralte, mündlich überlieferte finnische Volksdichtung Kalevala durch den Arzt Elias Lönnrot aufgezeichnet und veröffentlicht wurde. Auch Jean Sibelius kam auf seiner Hochzeitsreise gemeinsam mit seiner Frau Aino im Jahr 1892 nach Karelien, um als Gegenleistung für ein Stipendium der Universität die Melodien der Sänger aufzuschreiben, die die Verse dieses Nationalepos vertonten. Damals gehörte Karelien zum russischen Zarenreich – die Bewohnerinnen und Bewohner strebten aber die Unabhängigkeit an. Im Jahr 1893 wurde Sibelius von einer patriotischen Studentenverbindung um eine sogenannte Tableau-Musik gebeten, die insgesamt sieben historische Szenen der karelischen Geschichte musikalisch beschreiben sollte. Die vom Komponisten daraus ein Jahr später zusammengestellte, dreisätzige «Karelia»-Suite op. 11 gehört zu seinen beliebtesten Werken.

Das «Intermezzo», der erste Satz, beruht auf der Musik zur historischen Szene «Herzog Narimont aus Litauen zieht Steuern in der Provinz Käkisalmi ein». Der Hörnerklang, der mal offen, mal gestopft zu hören ist, erzählt von den Jägern, die im Auftrag des Herzogs unterwegs sind. Die Echos der Hornrufe veranschaulichen die weite Landschaft. Pauken, grosse Trommel, Becken und kleine Trommel verdeutlichen die Grösse des Hofstaats. Am Ende verklingen die Hörner in der Ferne. Der zweite Satz mit dem Titel «Ballade» bezieht sich auf den schwedischen König Karl VIII. des 15. Jahrhunderts und beschreibt eine Szene, wie er sich an sein früheres Leben erinnert. Am Ende stimmt ein Barde, der hier von einem Englischhorn verkörpert wird, eine klagende Melodie an. Zarte Streicherpizzicati schaffen den Raum für diese ganz intime Musik. «Alla Marcia» heisst der dritte Satz, der als grosse Steigerung konzipiert ist. «Pontus de la Gardie vor den Toren von Käkisalmi 1580»lautete der Titel des dazugehörigen historischen Bildes. Der Marsch des schwedischen Heerführers aus dem 16. Jahrhundert beginnt mit leichten Punktierungen in den Streichern, wird aber nach und nach von den Blechbläsern gestählt und vom Schlagzeug befeuert. Mit Pauken und Trompeten, mit Glanz und Gloria geht die «Karelia»-Suite zu Ende.


HEIMATSTOLZ
28. Juli 2024, 17.00 Uhr, Konzertsaal, Arena Klosters
Maxim Emelyanychev (Leitung), Jan Lisiecki (Klavier),
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen