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Besseggen, Norwegen, © Sina Gubser

Serie: Orte in der Musik (4)

Musikwissenschaftler Georg Rudiger stellt einige Orte vor, die für bestimmte, in Klosters gespielte Werke wichtig sind. Heute: Norwegen, die Heimat des Komponisten Edvard Grieg (Klavierkonzert in a-Moll op. 16) 

«Grieg liebte sein Vaterland, seine Heimatstadt Bergen, Troldhaugen, Hardanger, die Jotunheimen-Gebirge, ja, überhaupt die norwegische Natur. Aber trotz seiner nationalen Begeisterung konnte er oft an der geistigen und künstlerischen Armut seines Heimatlandes verzweifeln. Deshalb zog es ihn sein Leben lang hinaus in die Kunstwelt des Kontinents, besonders nach Deutschland und Dänemark, um neue Anregungen zu bekommen», schreibt der norwegische Musikwissenschaftler Finn Benestad über Edvard Grieg. Das Werk Edvard Griegs ist geprägt von der Verschmelzung norwegischer Volksmusik mit europäischer Kunstmusik. Er selbst sprach von der Verbindung von Schwarzbrot mit Austern und Kaviar. Die ersten Spuren von folkloristischen Elementen findet man in seinen Humoresken op. 6 und dem zweiten Satz der ersten Violinsonate in F-Dur op. 8 (beides aus dem Jahr 1865), der im rustikalen Trio an den Klang einer neunsaitigen Hardangerfiedel, das Nationalinstrument Norwegens, denken lässt. Wichtig für Grieg war die Bekanntschaft mit dem Geigenvirtuosen Ole Bull, der selbst norwegische Volksmusik sammelte. «Ole Bull war mein guter Engel. Er öffnete mir die Augen für die Schönheit und Ursprünglichkeit der norwegischen Musik. Durch ihn lernte ich viele vergessene Volksweisen und vor allen Dingen meine eigene Natur kennen», schreibt Grieg. 1869 entdeckte der Komponist Ludvig Mathias Lindemans Sammlung «Ältere und neuere norwegische Bergmelodien», aus denen er viele originale Volkslieder musikalisch bearbeitete, zum ersten Mal in seinen 25 norwegischen Tänzen und Volksweisen op. 17.

Ein Jahr zuvor, im Sommer 1868, hielt sich der frischgebackene 25-jährige Vater mit dem norwegischen Pianisten Edmund Neupert und dem dänischen Komponisten Emil Horneman im idyllischen Dorf Søllerød auf – rund 20 Kilometer von Kopenhagen entfernt, wo seine Frau und seine im April geborene Tochter bei den Schwiegereltern unterkamen. Er wollte in Ruhe arbeiten können, aber nicht zu weit von seiner Familie entfernt sein. Am 3. April 1869 wurde das Klavierkonzert in Kopenhagen von Edmund Neupert uraufgeführt: «Der Triumph, den ich feierte, war wirklich grossartig. Schon nach der Kadenz im ersten Teil brach im Publikum ein wahrer Sturm aus. Die drei gefährlichen Kritiker, Gade, Rubinstein und Hartmann, sassen oben in der Loge und applaudierten aus voller Kraft», berichtet der Solist dem Komponisten kurz nach der Uraufführung.

Originale norwegische Melodien verwendet Edvard Grieg im Klavierkonzert noch keine, aber es lassen sich doch einige Anklänge an norwegische Volksmusik nachweisen. Schon der Beginn des Konzertes mit den abstürzenden Einleitungstakten des Klaviers (a-gis-e) im «Allegro molto moderato» weist mit der fallenden kleinen Sekunde und der anschliessenden grossen Terz eine melodische Wendung auf, die man häufig in der skandinavischen Volksmusik findet. Das kreisende Motiv, das im «Animato» von den Flöten und Klarinetten gespielt wird, ist typisch für eine Hardangerfiedel. Der letzte Satz «Allegro moderato molto e marcato» präsentiert nach einer kurzen Einleitung einen Halling – den typischen norwegischen Volkstanz im 2/4-Takt, dessen starke Rhythmik durch Akzente zusätzlich betont wird. Auch manche harmonische Wendungen und Vorschläge wie im exponierten, zurückgenommenen Flötenthema erinnern an Volksmusik. Am Ende nach der Solokadenz verwendet Grieg mit einem Springar, einem Springtanz im 3/4-Takt, noch einen weiteren norwegischen Tanz, der dem Klavierkonzert ein effektvolles Ende bereitet.