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Frederic Edwin Church: „Die Reise von Hooker und seinen Begleitern 1636 durch die Wildnis von Plymouth nach Hartford“ (1846) | Wadsworth Atheneum Museum of Art, Hartford, Connecticut (USA)

Serie: Orte in der Musik

«Begegnungen. People and Places» heisst das Motto von Klosters Music 2024. Musikwissenschaftler Georg Rudiger stellt in einer kleinen Serie einige Orte vor, die für bestimmte, in Klosters gespielte Werke wichtig sind. Den Anfang macht die Sinfonie Nr. 9 «Aus der Neuen Welt» von Antonín Dvořák. 

Im Juni 1891 erhielt Antonín Dvořák ein Telegramm aus Amerika. Der Absender: Jeanette Thurber, Präsidentin des von ihr gegründeten New Yorker Conservatory of Music. Sie machte dem tschechischen Komponisten ein verlockendes Angebot. Für 15’000 Dollar im Jahr könne er die auf zwei Jahre befristete Stelle des Institutsdirektors antreten. Dvořák zögerte nicht lange, schliesslich verdiente er auf diesem Posten das 25fache seines Prager Professorengehalts; im Dezember 1891 unterzeichnete er den Vertrag. Der als betont nationaler Komponist geltende Tscheche sollte Amerika eine musikalische Identität geben: «Die Amerikaner erwarten grosse Dinge von mir, vor allem soll ich ihnen den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbständigen Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen!», berichtet Dvořák in einem Brief. Im Herbst 1892 mit seiner Familie in New York angekommen, macht er sich gleich ans Werk. Von seinem schwarzen Schüler, dem Bariton Harry Thacker Burleigh, lässt er sich fast täglich Spirituals und Plantagenlieder aus den Südstaaten vorsingen, der befreundete Musikkritiker Henry Eduard Krehbiel legt ihm Transkriptionen von Indianermelodien vor. Er entdeckt prägnante rhythmische Wendungen wie Synkopen. Auch pentatonische Skalen, die in den fünf Tönen auf Halbtonschritte verzichten, notiert er sich in sein Skizzenbuch. «Ich habe keine einzige jener Melodien benützt. Ich habe einfach charakteristische Themen geschrieben, indem ich ihnen Eigenheiten der indianischen Musik eingeprägt habe», erklärt er im New York Herald. 

Spuren der amerikanischen Geschichte 

Von Beginn an entwickelt die Sinfonie «Aus der Neuen Welt» einen besonderen Tonfall. Gleich in den ersten Takten der langsamen Einleitung sind Synkopen zu hören, die in den Fortissimo-Einwürfen der Streicher noch mit einem Akzent versehen werden; auch das Hauptthema im Allegro molto präsentiert zwei Synkopen an markanter Stelle. Diese rhythmischen Besonderheiten lassen sich von den Melodien der Spirituals ableiten, zumal das dritte, von der Flöte in tiefer Lage gespielte Thema starke Ähnlichkeit zum bekannten «Swing low, sweet chariot» aufweist. Auch die vielen pentatonischen Passagen könnten ihr Vorbild in Native American und afroamerikanischen Melodien haben. Das ruhige Englischhorn-Thema im zweiten Satz ist ebenfalls pentatonisch komponiert. Dvořák liess sich zu diesem Satz vom Versepos «The Song of Hiawatha» von Henry Longfellow inspirieren, das vom Leben des Native American Hiawatha im 16. Jahrhundert erzählt. Auch hier hat der tschechische Komponist berührende Musik gefunden für einen musikalischen Ort – und wurde dafür vom amerikanischen Publikum bei der Uraufführung am 16. Dezember 1893 in New York gefeiert.