Sprühende Energie und Präzision: Giulia Semenzato, Sopran

Eine grosse Freude für alle Freundinnen und Freunde der grossen Mozart-Arien: Nach der anspruchsvollen CD-Aufnahme «Angelica Diabolica» mit dem Kammerorchester Basel zu Jahresbeginn kehrt die grandiose italienische Sopranistin Giulia Semenzato im Juli in die Schweiz zurück und beehrt am ersten Konzertabend Klosters Music. Semenzato, die ihr Gesangsstudium am Konservatorium «Benedetto Marcello» in Venedig 2015 mit Auszeichnung abschloss und sich in der Folge an der «Schola Cantorum» in Basel bei Rosa Dominguez auf Barockmusik spezialisierte, fungierte unter anderem 2012 als Preisträgerin der International Competition «Toti dal Monte» in Treviso. Sie ist ferner Preisträgerin der «Cesti Singing Competition» in Innsbruck 2014 und erhielt den «Premio Farinelli» als beste Barocksängerin. Die junge Sängerin und studierte Juristin ist allerdings nicht nur im Barock heimisch, sondern lebt auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart.

Im Februar 2015 debütierte Semenzato als «Celia» am Teatro alla Scala in Mozarts «Lucio Silla» unter dem Dirigat von Marc Minkowski und war unter anderem in Mozarts Krönungsmesse, dem Requiem sowie als «Zerlinda» in «Don Giovanni» zu hören. Herausragend an Giulia Semenzatos Gesang ist die Gabe der Sopranistin, spürbare Kraft, sprühende Energie sowie höchste Präzision und Sensibilität zeitgleich miteinander zu vereinen.

Interview mit Giulia Semenzato

Wir hatten die Gelegenheit, Giulia Semenzato im Vorfeld von Klosters Music einige Fragen zu stellen:

KM: Frau Semenzato, schön, dass Sie Zeit für uns finden. Sie haben einen Teil Ihres Studiums in Basel absolviert. Ist Basel eine Art Heimat für Sie geworden?

GS: Ich habe mein Master-Studium in Basel gemacht. Die Stadt bedeutet mir viel. Es war meine erste Erfahrung in der Fremde an einer der vielleicht besten Schulen für alte Musik in Europa. Das Ganze in einem internationalen, multikulturellen Umfeld: Nicht nur an der Institution selbst, sondern vielmehr in der ganzen Stadt ist es sehr einfach, Leute aus allen Teilen der Welt zu treffen. Ausserdem repräsentiert Basel einen wichtigen Schritt in meiner musikalischen Entwicklung und ich habe dort viele Freundschaften geschlossen. Für mich ist es die perfekte Stadt. Nicht zu gross, nicht zu klein, mit vielen Möglichkeiten und einem reichen kulturellen Angebot. Es ist unglaublich, dass es so nahe bei Flüssen, Hügeln und Wäldern so viele Museen, eine Oper und so viele Konzertanlässe geben kann! Nahezu die perfekte Umgebung für ein menschliches Wesen! In Basel fühle ich mich immer sehr willkommen und komme immer sehr gerne zurück, wenn es zeitlich irgendwie geht.

 

KM: Hatten Sie schon einmal die Gelegenheit, Graubünden oder gar Klosters zu besuchen?

GS: Nein, in Graubünden war ich leider noch nie, freue mich aber sehr darauf, diese Gegend zu entdecken! Kultur und Natur – das klingt super!

 

KM: Was bedeutet Musik für Sie persönlich? Warum ist Musik so wichtig für Sie und vielleicht auch für uns alle?

GS: Vor allem anderen ist Musik für mich eine universale Sprache. Wir brauchen keine besonderen Fähigkeiten oder Ausbildungen, um die Musik wertzuschätzen. Jede und jeder kann den emotionalen Gehalt der Musik verstehen. Aus diesem Grund hat sie eine so grosse Kommunikationskraft und eine solche Macht, die Menschen miteinander zu verbinden. Das ist auch immer mein «Schlüssel», wenn ich auftrete: Wenn wir Musik machen und Musik «live» hören, entsteht eine Art von zeitlosem Moment, ein Augenblick, in welchem wir unsere tägliche Routine vergessen und uns selber durch den Klang und die Atmosphäre des Theaters besser zu verstehen beginnen. Das ist auch der Grund, warum ich alle Leute, die noch nie in der Oper waren, immer wieder ermutige hinzugehen und diese Erfahrung zu machen. Um zu beweisen, dass alle es geniessen können.

Im Weiteren ist sehr traurig, dass in unseren Schulen die Geschichte der Musik nicht den gleichen Stellenwert hat wie die Kunstgeschichte.

 

KM: Wie kann Musik eine Gesellschaft beeinflussen und formen? Gerade unter dem Aspekt, dass Musik immer Ausdruck einer Epoche und des Zustandes einer Kultur ist? Gibt es Beispiele, von welchen Sie denken, dass sie unter diesen Aspekten wichtig oder gar symbolhaft sind oder waren?

GS: Die Musik ist immer den sozialen Entwicklungen und Veränderungen gefolgt, sie hat jedes wichtige historische Ereignis begleitet (Die Hochzeiten der Könige, den Tod von Prinzessinnen, aber auch die Veränderungen der politischen Machtstrukturen und politische Oppositionen). Was ich liebe, wenn ich mich einer neuen Komposition annähere, ist der Prozess den Kontext zu verstehen, in welchen ein Stück geboren wurde. Ich mache ein Beispiel: «Ercole Amante» von Francesco Cavalli, in welchem ich in der «Opera Comique» in Paris 2019 auftreten durfte, wurde ursprünglich für die Krönung von Louis XIV komponiert! Wir alle wissen um die immense Wichtigkeit dieses französischen Herrschers. Es ist also faszinierend zu wissen und zu hören, welche Musik ein solches Ereignis damals begleitet hatte.

 

KM: Hinsichtlich Ihrer aktuellen Aufnahme «Angelica Diabolica» in Basel: Können Sie uns etwas darüber erzählen? Wie ist es zu dieser Aufnahme gekommen?

GS: Ich wollte ein Programm über eine starke freigeistige Frau singen, die keine Angst hat, ihren wahren Gefühlen zu folgen und für ihre Überzeugungen zu kämpfen. Ich habe Giovanni Andrea Sechi vor einigen Jahren getroffen und als ich ihm mein Konzept erklärte, hat er mir vorgeschlagen, ein Programm über die Frauen von Orlando Furioso zu gestalten.

 

KM: Was werden wir von Ihnen hören, wenn die Aufnahme fertig ist? Dann die verschiedenen «Angelicas»: Es scheint um Frauen zu gehen, die einen starken Willen, Intelligenz und Kraft haben und die ihren eigenen Weg gehen. Mit welchen der vielen «Angelicas» können Sie sich selbst am meisten identifizieren und warum? Oder steckt ein Teil dieser «Angelicas» in uns allen?

GS: Zwar ist «Angelica» der Hauptcharakter in Ludovico Aristo’s epischem Gedicht, aber die CD zeichnet einen Weg zu vielen Frauengestalten in der Geschichte: Bradamante, Ginevra, Melissa, Alcina… Als ich am Gymnasium war, habe ich viele der Reime gelesen, klar, denn es ist ein Meisterwerk der italienischen Literatur, aber als ich es kürzlich wieder gelesen habe, tat ich dies mit anderen Augen: Vielleicht etwas reifer und befähigter, die verschiedenen Ausprägungen dieser Frauengestalten zu entdecken. Angelica ist stark, ist sich ihrer Macht über all jene Männer, denen sie begegnet, aber auch bewusst. Ich bin fasziniert von dieser Selbstwahrnehmung und ihrer Fähigkeit, den Chevalier Orlando anzulügen, um ihn loszuwerden und so frei und tief ihre Liebe zum einfachen Soldaten Medoro leben zu können. Eine Liebe, die den Konventionen darüber widerspricht, in wen eine Prinzessin sich zu verlieben hat. Wobei: Ich selbst empfinde mich zwar als unkonventionelle Person, auch ein wenig stur vielleicht, aber ich bin eine sehr schlechte Lügnerin….

 

KM: Schauen wir nach Klosters: Warum freuen Sie sich auf diesen kleinen exklusiven Event?

GS: Ich freue mich sehr darauf am Klosters Music zu singen. Es ist bekannt dafür, ein sehr spezieller und hochwertiger Anlass zu sein, an den Top-Level-Künstler eingeladen werden.

 

Welche Charaktere werden Sie geben?

GS: Ich werde einige von «Susanna’s» Arien und Duette aus «Le nozze di Figaro» singen, dazu die Arie der «Donna Anna», die ich noch nie auf einer Opernbühne gesungen habe.

 

KM: Wie ist Ihre Beziehung zur Musik Mozarts?

GS: Ich hatte das Vergnügen schon in vielen Opern von Mozart aufzutreten, meistens in Rollen, die wir normalerweise dem Soubretten-Fach zuordnen: «Susanna», «Despina», «Zerlina» (auch mit dem Kammerorchester Basel), «Serpetta» und «Celia». Viele von ihnen gehören zur Unterschicht (Dienerinnen, Mägde). Ebenso sind viele von ihnen witzig, aufrichtig, sehr talentiert und stehen mit beiden Füssen auf dem Boden.

 

KM: Gibt es Charaktere, die Sie speziell mögen?

GS: Ich liebe «Despina», die ihre zwei Schwestern lehrt, leichtfüssig zu lieben, ich liebe Susanna, die «Figaro» treu ist und ihr Verhältnis zur Gräfin und ich liebe es beide Seiten der «Zerlina» zu spielen: Jene, die sich von «Don Giovannis» Kraft angezogen fühlt und jene, welche letztendlich ehrlich zu «Masetto» hält. Ich glaube, ich kann von jedem Charakter, den ich spiele, etwas lernen. Denn Mozart kann uns immer etwas lehren. Auch noch nach 275 Jahren!