«Überschaubare Unendlichkeit»

Dass die Welt der Musik und die Entwicklungen innerhalb des musikalischen Universums eine nahezu unendliche Dimension umfassen, wird bereits anhand des diesjährigen Programms von Klosters Music klar. Inwiefern diese Unendlichkeit aber auch den Aspekt des «Überschaubaren» in sich trägt, beschreibt der Musiker und Komponist František Janoska, der uns mit seinem virtuosen Ensemble am 1. August beehren wird. Im nachfolgenden Interview gibt er einen vertieften und faszinierenden Einblick in die musikalischen Wurzeln des Janoska Ensembles sowie in die Position der volksmusikalischen Einflüsse in Vergangenheit und Gegenwart. Eine Lektüre des ebenso informativen wie unterhaltsamen Gesprächs lohnt sich in jedem Fall. František Janoskas Reflexionen über die böhmische Musik, seine Arrangements und seine eigenen Kompositionen bilden die ideale Basis, sich mit doppelter Vorfreude auf jene Stunden voller «Böhmischer Rhapsodien» einzulassen.

Inwiefern bedeutet für die Janoskas die Musik «Heimat» – gerade da sie sich ja intensiv mit der Musik ihrer Heimat auseinandersetzen?

Im Zusammenhang mit Musik verbinden wir mit dem Begriff «Heimat» vor allem den der Volksmusik: Darunter verstehen wir jene Melodien, die wir in der Kindheit gehört haben, die unsere Mutter uns vorgesungen hat, die wir irgendwo aufgeschnappt und nachgesummt haben – all diese Lieder, Weisen und Melodien haben wir nach wie vor im Kopf und geben sie – bewusst und auch unbewusst – heute unseren eigenen Kindern weiter. In unserer geografischen Heimat, also wo wir aufgewachsen sind, wurde slowakisch und ungarisch gesprochen: Da kam und kommt es natürlich zu musikalischen Berührungen oder auch Überschneidungen. Beispielsweise wissen wir von ursprünglich ungarischen Volksliedern, die in die andere Sprache transportiert wurden und dann – sozusagen – nicht mehr als Adaption, sondern als «eigene» Lieder verstanden wurden; umgekehrt funktionierte das natürlich auch. Beides aber – wie auch schon Kodály feststellte – verfestigt sich, hat man es mal quasi mit der «Muttermilch eingeflösst» bekommen. Dazu muss man aber auch sagen, dass wir in einer sehr musikalisch geprägten Familie aufgewachsen sind und von frühester Kindheit an die verschiedensten Musikstile kennenlernen durften. Besonders verbindet uns da auch eine grosse Vorliebe für diejenigen Komponisten, die in unserer Region gelebt beziehungsweise gewirkt haben und deshalb für uns immer schon so was wie Vorbilder waren. Dazu zählen unter anderem Franz Liszt, Bela Bartók, W. A. Mozart und Joseph Haydn. Diese Komponisten leben für uns in dieser Welt weiter und sind für uns hier und jetzt immer präsent. Das Janoska Ensemble meint mit «Heimat» ausserdem immer den Ort, wo es gerade Musik macht – wir verstehen darunter vorwiegend die Bühne. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass wir uns immer und überall von der jeweiligen Musik inspirieren lassen: Wir interessieren uns hier vorwiegend für die lokale Volksmusik, deren Rhythmen und suchen regelrecht danach, hören zu, spielen nach und bauen letztendlich das Gehörte gerne in unsere Improvisationen ein.

Inwiefern ist die Musik identitätsstiftend? Zu Hause, aber auch in der Fremde?

Vor allem die Rhythmik, also der Tanz, sind wichtige Identitätsmerkmale von Musik: Dies wird am intensivsten in der Kindheit durch und mit Kinderliedern, Reimen und Volksweisen er- und gelebt und «verwurzelt». Das ist sehr ähnlich wie beim Erlernen einer Sprache: Der Rhythmus, der Takt und die Intonation sind die Bauteile und bleiben – haben sie unsere Kindheit begleitet – immer in uns, unabhängig davon, wo wir uns später aufhalten oder uns hinbewegen.

Welche Ansätze verfolgt František Janoska in seiner Tätigkeit als Komponist im Spannungsfeld zwischen Tradition und Gegenwart?

Die slowakisch-ungarisch-österreichische Herkunft ist im kompositorischen Schaffen von František tief verwurzelt und wird unter anderem direkt thematisiert. So zum Beispiel in seiner dreisätzigen «Janoska Symphony No.1» mit den Satzbezeichnungen «Bratislava», «Wien», «Budapest». Dazu folgende Erläuterung von František: «Das Werk stellt eine Reise in drei Bildern durch Länder bzw. Städte des Donauraumes dar, von dessen langer Musiktradition ich seit Kindertagen musikalisch mitgeprägt worden bin. Die Themen sind völlig selbstständige, neue Kompositionen und ich habe – quasi als kleinen musikalischen Gruss aus meiner Kindheit – in jedem Satz ein Musikzitat als Miniatur eingebaut; also für einige Momente eine für das jeweilige Land sehr typische, bekannte Melodie. Darüber hinaus bekommt in jedem Satz ein jeweils landestypisches Instrument seinen eigenen Auftritt.» Im ersten Satz ist dies die slowakische Hirtenflöte, die Fujara, die so sicherlich erstmals in einem «klassischen» symphonischen Werk zu hören ist. Für Wien kommt die Zither zum Einsatz und im dritten Satz bekommt das exotische Tárogató seinen Auftritt: Dieses «hölzerne Saxofon» ist ein altes ungarisches Volksinstrument, das einen unvergleichlich weichen Klang besitzt.

Womit setzt František Janoska sich auseinander und warum?

Wie am Beispiel der «Janoska Symphony No.1» beschrieben, lässt sich diese musikalische «DNA» nicht nur nicht verleugnen, sondern sie bricht regelrecht im Umfeld einer neuen Komposition hervor, erwacht zu neuem Leben und präsentiert sich in einer weiterentwickelten Form. Wichtig dabei ist, eine eigene «authentische» Formel zu finden und dieser, also seinem Stil, treu zu bleiben.

Jeder Komponist hat seine eigene Schreibmethode. Die von František findet in einer sehr harmonischen Welt statt und er formuliert es am besten selbst wie folgt: «Ich bin ein Komponist des 21. Jahrhunderts, aber war und bin auch ein Romantiker.

Das heisst, ich schreibe schöne, harmonische Melodien, lasse aber – und das nicht nur bei Kompositionen für das Janoska Ensemble, sondern auch bei symphonischen Stücken – den Musikern einen grossen Freiraum, sich musikalisch einzubringen. Es gibt dafür in jeder meiner Kompositionen Improvisationsteile, die jeweils völlig frei interpretiert werden dürfen. Diese ‹persönliche Note› drückt jeder Interpretation und Aufführung ihren eigenen Stempel auf und gibt so dem Stück etwas sehr Individuelles, ja Einzigartiges. Sehr wichtig ist mir allerdings, dass immer Neues entsteht: Ich bin sozusagen offen für ‹Experimente› und will immer eine Entwicklung sehen. Sich ständig weiterzuentwickeln scheint mir generell ein wichtiger Aspekt zu sein.»

Worauf freut sich das Janoska Ensemble in Klosters?

Wir waren ja schon hier im wunderschönen Klosters und freuen uns besonders auf die Umgebung, den Eindruck der unbelasteten Natur, die herrliche Landschaft, die grünen Wiesen, das unglaubliche Panorama mit den imposanten Bergen. Erinnerlich ist uns besonders die Weite, der unglaublich grosse Raum, den man hier – von der Natur vorgegeben – erlebt: Diesen «Freiraum» setzen wir im Konzert in ebenso freie Improvisation um und geniessen einfach die so entstehenden guten Vibes in Interaktion mit dem sehr internationalen Publikum. Dazu kommen selbstverständlich die Kulinarik und die grossartige Gastfreundschaft.

Wie sieht das Ensemble die musikalische Zukunft der Verwurzelung in der Tradition der Volksmusik?

Die Volksmusik hat, wie schon erwähnt, immer einen festen Anker: Im multikulturellen Wien beispielsweise treffen viele Kulturen, Stile und letztlich Traditionen aufeinander. Die Volksmusik hat dann eine Zukunft, wenn Komponisten diese in ihre Werke einbauen und so einem breiten Publikum näherbringen. So kennen wir zum Beispiel den Tango durch Astor Piazzolla oder haben durch Carlos Jobim den Samba lieben gelernt; aber auch in der Klassik haben sich alle von der Folklore inspirieren lassen: Würden wir sonst überall auf der Welt ungarische Rhapsodien kennen, hätten nicht Liszt oder Brahms diese notiert? Wohl kaum!

Viele Komponisten, von Schubert, Beethoven oder Haydn über Dvořák, Liszt und Brahms bis hin zu Bartók, Pärt oder Lutosławski, widmeten einen beachtlichen Teil ihres Œuvres der Folklore und verarbeiteten traditionelle Melodien in ihren Werken.

Auch das Janoska Ensemble fühlt sich der Folklore verpflichtet, bekennt sich in seinen Kompositionen klar zum Volksidiom und drückt mit virtuosen Improvisationen im «Janoska Style» den Werken aus allen Herkunftsländern seinen multikulturellen Stempel auf.

Der «Janoska Style» lässt sich kaum mit einem einzigen Satz erklären – denn es würde lange dauern, alle biografischen und künstlerischen Zutaten aufzulisten, die diesen Stil ausmachen –, sondern vielleicht am ehesten wie folgt: Der «Janoska Style» ist eine neue, gemeinsam geschaffene musikalische Vision: eine Mischung aus Klassik, Jazz, Pop und anderen Stilelementen; dazu gesellt sich als vielleicht wichtigster Bestandteil des gemeinsamen Musizierens die vergessene Kunst der Improvisation in der klassischen Musik.

Wird diese Basis immer in eine neue Gegenwart finden und warum?

Bis heute hat sich dies bewährt – das musikalische Universum ist ja überschaubar unendlich, sprich: Die Musik entwickelt sich in all ihrenParametern wie etwa Instrumentierung, Soundbearbeitung und Wiedergabe, Harmonik und auch das Zusammenwirken mit anderen Medien ständig weiter. Die Volksmusik, und also auch die eigenen Wurzeln beziehungsweise die «musikalische Heimat», wird dabei immer eine wichtige individuelle Rolle spielen, denn sie erfindet sich immer wieder neu. Dies erfolgt in einer Art «zeitgenössischer Balance» und – in unserem Fall – im bereits beschriebenen «Janoska Style».

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