«Das Konzert gehörte schon immer zu meinen Lieblingsstücken»
Augustin Hadelich ist einer der weltweit gefragtesten Geiger. Mit dem Cellisten Gautier Capuçon und den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Christian Thielemann hat der 41-jährige Deutsch-Amerikaner gerade das Doppelkonzert von Johannes Brahms aufgenommen. Bei seinem Debüt in Klosters am 2. August 2025 spielt er mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen das Tschaikowsky-Violinkonzert. Georg Rudiger hat ihm einige Fragen gestellt.
Sie sind auf dem Land gross geworden. Ihre Eltern bauten Wein und Oliven in der Toskana an. Wie war das für Sie als deutsches Kind, in Italien gross zu werden?
Für mich war das normal. Deutsch war zwar meine erste Muttersprache, dann habe ich Italienisch in der Schule gelernt, und das Italienische – die Toskana, die Olivenbäume, die Weinberge – wurden für mich zur Heimat. Natürlich bin ich kulturell schon eher deutsch geprägt und wurde auch in der Schule nie als Italiener gesehen, sondern als Deutscher. Wir waren die Tedeschi. Ich habe mir da nicht so viele Gedanken gemacht. Nur wenn ich in Deutschland war, kam die Frage auf: Wieso sind deine Eltern in die Toskana gezogen? Manche fanden das ungewöhnlich.
Bis zu Ihrem 10. Lebensjahr haben Sie Musik nur live gehört – von Ihrer Familie. Erst dann kauften die Eltern einen Plattenspieler. Hat das rückblickend Ihre musikalische Karriere, Ihre Art zu spielen beeinflusst?
Es war tatsächlich so, dass wir zuhause Musik selbst gemacht haben und es keinen Plattenspieler gab. Gute, professionelle Musiker hörte ich in Konzerten, und irgendwann kam der Moment, in dem ich unbedingt auch Aufnahmen der grossen Geiger hören wollte. Meine Eltern besorgten einen Plattenspieler und ein Freund unserer Familie, der auf CDs umsattelte, schenkte uns alle seine Langspielplatten mit ganz tollen Aufnahmen. Die wurden ein grosser Teil meiner Inspiration. Denn ich habe bald schon eigene Vorstellungen entwickelt und mir dann die Aufnahmen angehört, die diesen Vorstellungen entsprachen.
Warum sind Sie nach New York an die Juilliard School gegangen und nicht an eine europäische Musikhochschule?
Ich hatte ein Geigendiplom in Italien erworben. Und hatte das Bedürfnis, in eine grosse Stadt zu gehen und nicht mehr auf dem sehr schönen, aber auch verschlafenen Land zu bleiben. Ich wollte einen Neuanfang. Und zwar in New York an der sehr renommierten Juilliard School.
Amerika ist zu Ihrer Heimat geworden. Seit 2004 leben Sie in New York City. Was verbinden Sie mit dem Land? Und wie schauen Sie gegenwärtig darauf?
Ich habe viele Heimaten. Die Sprachheimat Deutsch natürlich. Mit meiner eigenen Familie jetzt amerikanisch. New York, Amerika ist meine Heimat und die Toskana bleibt im Herzen immer meine Kindheitsheimat. Bis heute.
Was verbinden Sie mit der Schweiz?
Frühe sprachliche Erfahrungen. Als meine Eltern von Deutschland in die Toskana zogen, gab es noch viel alteingesessene italienische Bevölkerung. Aber es kam bald die Zeit, in der sehr viele Häuser von Schweizern gekauft wurden. So war natürlich oft Schweizerdeutsch zu hören.
Waren Sie schon einmal in Klosters oder Graubünden?
Ich bin nicht in den Bergen aufgewachsen, aber geniesse natürlich die schöne Landschaft und – wenn ich in der Schweiz bin – die tollen Festivals, die renommierten Orchester und einfach die unglaubliche Dichte der Schweizer Musikwelt. In Graubünden war ich bisher noch nicht, aber freue mich sehr darauf.
Sie kommen am 2. August mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem Dirigenten Jérémie Rohrer zu Klosters Music. Kennen Sie sich?
Ich kenne die Kammerphilharmonie Bremen noch nicht, das wird unsere erste Begegnung sein. Aber mit Jérémie Rohrer habe ich schon mehrmals gespielt: mit unterschiedlichen Orchestern, in Amerika und in Europa. Wir haben uns immer sehr gut verstanden und ich freue mich, ihn jetzt nach einigen Jahren wieder zu sehen.
Das Tschaikowsky-Violinkonzert gehört zu den meistgespielten Konzerten überhaupt. Wie ist Ihr Zugang zu diesem Werk? Was ist Ihnen besonders wichtig bei der Interpretation?
Das Konzert gehörte schon immer zu meinen Lieblingsstücken und ich spiele es seit beinahe 30 Jahren. Es bleibt eines der aufregendsten, schönsten und emotionalsten Stücke im Repertoire. Meine Herangehensweise hat sich mit der Zeit natürlich verändert. Als Jugendlicher war ich mehr mit der technischen Bewältigung beschäftigt, später hatte ich die komplette Partitur im Blick und versuchte, das Stück als Ganzes zu verstehen. Und schliesslich machte ich noch mal eine Art Neuanfang und löste mich von Spieltraditionen und Gewohnheiten. Denn die Gefahr ist gross, dass diese Traditionen das Stück fast zu einer Karikatur seiner selbst werden lassen und das Feuer, das diese Musik hat, verdecken. Seitdem gefällt mir das Stück gleich noch viel besser und macht mir ungeheure Freude, es zu spielen. Als ich aufwuchs, wurde noch oft die von Leopold Auer eingerichtete Urversion gespielt. Da sind viele kleine Details verändert, manche Stellen noch virtuoser gemacht, andere vereinfacht. Es gibt auch Schnitte. Gerade im letzten Satz sind einige Orchestertutti gekürzt. Irgendwann nahm ich mir das Original vor und kam wie wohl mittlerweile die meisten Geiger zu dem Schluss, dass die originale Version besser und in sich stimmig ist. Deswegen halte ich mich sehr genau an die Angaben.
Sie haben mit der Guarneri del Jesú/Leduc aus dem Jahr 1744 ein sehr besonderes Instrument zur Verfügung. Was mögen Sie speziell an dieser Violine?
Ich liebe den warmen, singenden Klang dieser Guarneri, die mich jeden Tag inspiriert. Mit Aufnahmen von Henryk Szeryng, dem diese Geige über 30 Jahre gehörte, wuchs ich auf und war immer beeindruckt von Szeryngs schönem, rundem, vollem Klang. Ich wusste damals nicht, auf welcher Geige er spielte. In New York sah ich später bei einem Geigenbauer ein Bild seiner Geige. Ich bewunderte es und hatte dabei keine Ahnung, dass ich das Instrument einmal selbst in den Händen halten würde. Aber so kam es. Dieses wunderbare Instrument ist mir nun seit fünf Jahren ein guter und verlässlicher Partner, mit dem ich viele Abenteuer erleben darf und dabei immer weiss: Das ist eine Geige, die mich auf der Bühne niemals im Stich lässt.
Was machen Sie ausser Musik noch leidenschaftlich gerne?
Musik und meine Familie – das ist mein Leben.